Den andern Morgen ließ ich mir von einem sogenannten commissionnaire d’étrangers, eine Menschenrace, die Gott in seinem Zorn geschaffen hat, um das reisende Publikum zu peinigen, die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen, über die ein Wort zu verlieren ich für überflüssig halte. Denn wer kennt nicht en detail die Schönheiten des herrlichen Münsters, das Marmor Monument des Marschalls von Sachsen in der Kirche St. Thomas und all die andern Zierden von Straßburg, welches trotz der französischen Straßenbenennungen und trotz der zahllosen affiches, mit denen die Häuser von unten bis oben nach französischer Unsitte beklebt sind, noch immer einen ächt deutschen Charakter trägt, wie man denn auch ebenso viel Deutsch als Französisch hier sprechen hört. Freilich ist das Elsässisch nicht gerade ein empfehlenswerthes Hochdeutsch, klingt aber im Munde der frischen muntern Landmädchen, welche früh mit ihren von Eseln gezogenen Karren voll Gemüse, Butter und Milch in die Stadt kommen, ganz allerliebst. Vom Thurme des Münsters aus sah ich mich noch einmal recht satt an dem lieben Deutschland, das ich nicht so bald wiedersehen sollte. Das Panorama ist herrlich. Die Vogesen, der Schwarzwald, das Illthal und die von zahllosen Dörfern und Städtchen wimmelnde Rheinfläche bilden ein ungemein heiteres Gemälde. Göthes und Herders Namen, in einen Balken des Glockenthurms. geschnitten, riefen mir lebhaft die lieblichen Scenen aus Göthes „Wahrheit und Dichtung“ zurück. Wie oft mag der bescheidene Rechtsstudent auf diesen luftigen Höhen gestanden und nach dem stillen Sesenheim geschaut haben, das dort unweit des Rheines in einem üppigen Kranz von Laubholz versteckt liegt, wo seine liebliche Friederike weilte?!
Heute ist das Wetter extrem wechselhaft, die Wolken ziehen auf, es nieselt, die Sonne zeigt sich, es regnet aus Kübeln…
Um 11 Uhr habe ich eigentlich die Kostenlose Tour durch Straßburg auf Spanisch gebucht, ich warte am vereinbarten Ort, aber da kommt kein Führer. Also gehe ich selber auf Erkundung. Ich löse ein Billett für die Turmbesteigung des Münsters, welche auch Willkomm gemacht hat. Goethe durfte als Besucher noch seinen Namen in den Turm meisseln, Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das untersagt und statt dessen ein Gästebuch bereit gelegt. Zwischen 1818 und 1870 haben sich 720.000 Besucher darin verewigt. Ob Moritz Willkomm darunter war? Wir werden es nicht erfahren, Die Verzeichnisse der Jahre 1818 bis 1937 wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Nach den vielen Treppen komme ich zum Wächterhaus und auf eine offene Plattform. Auf der einen Seite sind die Laufräder zu sehen, welche für den Turmbau benötigt wurden. Zwei Männer liefen innerhalb der Laufräder, welche eine Seilwinde bedienten. Damit konnte bis 2000 kg schweres Baumaterial nach oben gehievt werden. Das ist schon sehr bemerkenswert (oder merkwürdig, wie Willkomm noch schrieb).
Die Aussicht ist trotz des schlechten Wetters grandios, auch ich blicke gegen die Vogesen, entlang deren Willkomm mit der Eisenbahn gereist ist.
Nach dem Abstieg besuche ich das Quartier La Petite France, welches am Ill-Kanal liegt. Ganz in der Nähe ist die Barrage Vauban, eine Brücke, Wehr und Verteidigungswerk, welches im 17. Jahrhundert gebaut wurde. Vom Dach hat man eine tolle Aussicht auf Petite France und die Türme.
Ich komme zur Thomaskirche, hier hat schon Mozart auf der Orgel gespielt. Im hinteren Teil findet sich das Marmordenkmal für Moritz von Sachsen, nicht so mein Ding.
Willkomm meint, dass er kein Wort über die Sehenswürdigkeiten verlieren müsse, da diese allgemein bekannt sind. Das finde ich einigermassen verwunderlich, ich meine, Willkomm war gerade mal 23 Jahre alt, als er Strassburg besuchte. War er denn schon mal hier? Oder war er einfach so vielseitig informiert? Erstaunlich!
Die Zweisprachigkeit ist ebenfalls merkwürdig, wie man aus den Fotos sieht (Année du bilinguisme, Strassentafel).