Die ungeheure Stadt liegt schön; zum Theil auf einer von der Rhone und der beinahe ebenso wasserreichen Saône, die mitten in Lyon in die erstere mündet, gebildeten Halbinsel und dies ist der modernste, reichste und luxuriöseste Stadttheil; theils jenseits der Saône an einem sich ziemlich schroff erhebendem Höhenzuge amphitheatralisch emporsteigend und dies ist das ältere, ärmere, aber am malerischsten gelegene Stadtviertel. Eine weitläufige, meist von Arbeitern bewohnte Vorstadt liegt auch jenseits der Rhone, durch drei Stein- und eine Kettenbrücke mit der Hauptstadt verbunden. Eine gleiche Anzahl Brücken über die Saône erleichtern den Verkehr zwischen der neuen und alten Stadt. Beide Ströme sind ziemlich schmal, aber tief und von schmutzig aschgrauer Farbe, fortwährend von einer Menge von Frachtkähnen und Dampfschiffen wimmelnd.

Lyon ist reich an schönen, großen, häufig mit eleganten Promenaden gezierten Plätzen. Zu den schönsten gehören der ein ungeheures Viereck bildende Place de Louis XIV mit der bronzenen Reiterstatue dieses Fürsten und dem schönem Palais de la Justice, der Place de la Comédie mit dem prachtvollen Gebäude des großen Theaters und der Place des Terreaux mit dem Hotel de Ville, wo, wenn ich nicht irre, zur Zeit der Revolution die Guillotine stand. Alle befinden sich in der untern Stadt, denn die obere ist großentheils eng und winklig. Doch steht hier die einzige erwähnenswerthe Kirche, die Kathedrale St. Jean, ein schönes, aber kleines, zweithürmiges, gothisches Gebäude, dessen Thürme sowie die der übrigen eben nicht zahlreichen Kirchen von fern ganz in der Masse der vier bis sechs Stock hohen Hauser verschwinden.

Theils auf langen Treppen , theils durch steile, enge, schmutzige Gäßchen, wo der Auswurf der Bevölkerung zu wohnen scheint, stieg ich zur Höhe des erwähnten Kammes empor, wo eine kleine Kirche, die Chapelle de Notre Dame de Fourvières steht. Auf dem kleinem Platze vor derselben hielt man eine Art Messe, wie dies auch bei uns in katholischen Ländern an gewissen Heiligentagen gewöhnlich ist, und ich blieb einige Zeit stehen, um das lärmende Volksgewühl zu betrachten, welches feilschend, singend, schreiend und fluchend sich um die Buden herumdrängte, wo man allerhand Spielzeug, Näschereien, Heiligenbilder, Rosenkränze, Gedenkmünzen und andern Quark verkaufte; dann aber begab ich mich nach dem auf dem höchstem Gipfel gelegenem Observatorium, um mir durch eine Flasche ächten Burgunder meinen Spleen in dem reizendem Café de l’Observatoire zu vertreiben.

Unter einer reichbelaubten Robinienlaube an dem altersgrauem, von Epheu und andern Schlinggewächsen dicht übersponnenem Thurme der Sternwarte, über dem felsigem Absturze am Geländer sitzend, ließ ich lange meine Blicke an dem zauberischem Panorama haften, welches sich in den glänzendsten Farben vor mir entrollte. Die gewaltige Stadt, die man von hier aus fast in allen ihren Theilen überschaut, von den beiden Strömen durchschnitten, mit ihren menschen- und wagenbedeckten Brücken, breitete sich zu meinen Füßen aus, umringt von üppiggrünen Gefilden und einer Menge starkbefestigter Redouten. Rechts im Norden begränzte dies heitere Gemälde eine Menge bebuschter Hügel, die allmälig zu den höhern Bergen des in duftigblauen Umrissen emporsteigenden Côte d’Or an schwollen; links umsäumten die Gebirge der Dauphinée den Horizont, zwischen deren kahlen Bergen sich der Spiegel der hier und da aus dem reichbebautem Lande hervorblitzenden Rhone verliert, die weite Ebene und im fernstem Osten zeigten sich die dunkeln Kämme des Jura und die ernsten ewigen Schneehäupter der Alpen von Genf. Jch wartete den Sonnenuntergang ab und meine Gedanken segelten auf den rosig erglühenden Wölkchen, die vom lauem Westwind langsam durch das ätherische Meer des glänzend blauen Himmels gen Osten getrieben wurden, nach der fernen deutschen Heimath , von wo ich gern meine Lieben an meine Seite gewünscht hätte, um diesem herrlichem Schauspiele beizuwohnen. Nicht minder großartig war nach vollkommen eingetretener Dunkelheit der Anblick des ungeheuern, von Millionen Gasflammen strahlenden Häusermeers von Lyon.

aus Moritz Willkomm: Zwei Jahre in Spanien und Portugal, 1847

Mit meinem Zimmer im Hotel Du Simplon bin ich zufrieden, es ist zwar klein, hat aber alles, was man braucht, ist sauber, liegt im Zentrum und ist bezahlbar. Das Frühstücksbuffet ist tipptopp.

Heute will ich die Orte besuchen, die Willkomm in seinem Bericht erwähnt. Da interessiert mich zuerst das Observatorium, von welchem er die Aussicht in blumigen Worten schildert.

Willkomm beschreibt seinen Aufstieg durch schmutzige Gassen zur Chapelle Notre Dames des Fourvières. Da steht aber nicht nur eine kleine Kapelle, sondern eine ausgewachsene Basilika. Die wurde aber erst 1872 erbaut. Daneben steht die Chapelle Saint Thomas – Sainte Marie. Auf jeden Fall geniesst man eine tolle Aussicht von der grossen Terrasse.

Was nun das Observatorium betrifft, wird es schwieriger. Das erste Observatorium von Lyon befand sich auf der Spitze der Chapelle de Trinité, welche aber mitten in der Stadt, am Rhone-Ufer stand. 

Im Jahr 1830 begann Adolphe Gouhenant, auf den Höhen von Fourvière einen Aussichtsturm zu errichten. Ohne Bezug zum damals von François Clerc geleiteten Lyon-Observatorium handelt es sich um einen vierstöckigen Tempel der Künste und Wissenschaften, der künstlerische Ausstellungsräume sowie ein astronomisches und terrestrisches Observatorium umfasst. Gouhenant verschuldete sich während dieses Projekts erheblich: Im Januar 1833 ging er bankrott und der Turm wurde verkauft. 1857 kaufte der Klerus es und entfernte die letzten beiden Stockwerke, sodass die Fourvière-Kapelle wieder das höchste Gebäude auf dem Hügel war (Wikipedia).

Das wird wohl der Platz sein, den Willkomm beschrieb. Das erwähnte Café gibt es wohl nicht mehr.

Ein paar hundert Meter entfernt steht ein Aussichtsturm, welcher wie die Spitze des Eiffel-Turms ausschaut: die Tour métallique de Fourvière. Leider ist der aber nicht zugänglich, schade, das wäre sicher spannend gewesen. 

Ebenfalls auf dem Hügel befindet sich das Gallo-Römische Theater, wo ich mich kurz umschaue. Zur Zeit ist eine grosse Bühne aufgebaut, so dass nicht alle Teile zugänglich sind.

Die weiteren Orte im Text von Willkomm sind erhalten, ich spaziere zur Kathedrale St. Jean, zum Palais de Justice, zur Place des Terreaux mit dem Bartholdibrunnen und dem Hotel de Ville und zur Place de la Comédie mit der Opéra National de Lyon. Die hat über dem ursprünglichen Bau ein modernes Stockwerk erhalten. Ist das jetzt eine Bereicherung oder eine Bausünde? Zu guter Letzt geht es zu Ludwig XIV, der Platz trägt nicht mehr seinen Namen, sondern heisst Bellecour, aber die Statue ist noch da.

Auf dem Weg habe ich das Island Poké Restaurant gesehen, dahin wandere ich zurück für das Mittagessen. Und dann nochmals zur Gelateria Nobile von gestern, ich muss die anderen Aromen doch auch testen.

Gleich neben meinem Hotel hat es einen Waschsalon, ich nutze die Gelegenheit, meine Sachen wieder auf Vordermann zu bringen.

Um 17 Uhr habe ich eine Stadttour gebucht. Quentin führt die Gruppe durch viele Winkel, zeigt uns die astronomische Uhr in der Kathedrale St. Jean und erklärt, warum an der Kirche die Statuen fehlen. Er führt uns durch versteckte traboules (Quergassen), Renaissancehäuser und zum Justizpalast. Hier fand 1987 der Prozess gegen Klaus Barbie statt, Quentin berichtet, wie dieser, nachdem er lange als Klaus Altmann in Bolivien gelebt hat, 1983 verhaftet werden konnte. Die Verwicklungen dieses Scheusals mit den Geheimdiensten der westlichen Ländern nach 1945  geben einen verstörenden Einblick in die Machenschaften der Politik.

Nun geht es über die Saône in die Presqu’île, zum ehemaligen Spital, heute ein Einkaufszentrum. Vom Spital sind die Tafeln mit den Spenderbeiträgen erhalte, man findet darauf auch eine substantielle Summe des Filmpioniers Auguste Lumière. Ganz in der Nähe ist ein weiteres Monument der Filmgeschichte zu bewundern: das Kino der Firma Pathé, inklusive goldenem Hahn auf dem Turm. Den Abschluss bildet der grosse und etwas trostlose Platz Bellecour,  wo versucht wird, die Einöde mit farbigen Sonnensegeln aufzulockern. Warum Louis XIV als wilder Reiter dargestellt ist, erfahren wir auch: Der Sonnenkönig inszenierte sich gerne als Caesar auf Feldzug.

Am Rande des Platzes befindet sich das Saint-Exupéry Denkmal, das habe ich bis jetzt übersehen. Auch zu diesem grossen Schriftsteller und Piloten weiss Quentin Interessantes zu berichten. Das waren zwei unterhaltsame und spannende Stunden, vielen Dank Quentin!