Noch glühten die Zinnen des Pabstschlosses und die fernen Berge des Rhonethals in purpurnem Abendschein, als unsere Diligence bereits in eine dicke Staubwolke eingehüllt durch die weite fruchtbare Ebene gen Süden flog. Ein Blick auf die Gegend überzeugte mich, daß ich mich in der gesegneten Provence befände. Wogende Weizenfelder wechselten mit von Maulbeer- und Kastanienalleen durchschnittenen Gemüsegarten ab; überall blickten die weißen Gemäuer volkreicher Dörfer oder vereinzelter, von hohen ernsten Cypressen umringter Villen aus dem dunkeln Grün hervor und verkündeten ein wärmeres Klima. Bald aber hüllte die Nacht alle diese landschaftliche Pracht in ihr graues Einerlei und die Hitze war in dem engem Wagen, durch dessen Fenster Wolken von Staub hereindrangen, so enorm, daß man kaum athmen konnte. Der Tag graute bereits , als wir nach dem durch die Cimbern- und Teutonenschlacht ewig denkwürdigen Aix kamen, von wo aus das Land wieder bergig wird. Das Licht des anbrechenden Morgens zeigte mir Plantagen von Oel-, Feigen – und Mandelbäumen , die ersten, die ich erblickte und die mir zuriefen, daß ich endlich in dem ersehntem Süden von Europa angekommen sei. Nicht lange und es zeigten sich vielfach zerschnittene, steile, von der Seekiefer dicht bewaldete Hügel, welche die Nahe der Küste verkündeten. Schon guckten einzelne Thürme von Marseille hinter den vorliegenden kahlen Höhen hervor und noch immer wollte sich das Meer, welches ich gerade vor mir mit sehnsüchtigen Blicken suchte, nicht zeigen, als ich mich bei dem heiterm Rufe meines Nachbars, eines pariser Studenten: ,,Ah monsieur, voilà la grande route d’Espagne!“ schnell nach rechts wandte und zwischen zwei tief eingeschnittenen Hügeln den glänzend blauen Spiegel des mittelländischen Meers emporragen sah. Es war um 7 Uhr, als wir in dem geräuschvollem Marseille anlangten, wo ich mich in einem Hotel dicht am Hafen einmiethete.
Es lag eigentlich gar nicht in meinem Plane, mich in Marseille aufhalten zu wollen; indessen vernahm ich gleich bei meiner Ankunft, daß gerade den Tag vorher ein Dampfschiff nach Spanien ausgelaufen sei und das nächste nicht vor dem erstem Mai die Anker lichten werde. Auch hätte es mir nichts geholfen, wenn ich einige Tage früher nach Marseille gekommen wäre, indem die Besorgung des Passes, der von verschiedenen Autoritäten französischer und spanischer Seite visirt werden muß, immer ein Paar Tage Zeit raubt. Marseille war die erste große Seestadt, die ich erblickte, und so ergab ich mich gern in mein Schicksal, ohne zu besorgen, bei einem verlängertem Aufenthalte an Langeweile leiden zu dürfen. Mein erster Gang war nach dem Hafen. Dieser bildet ein beinahe regelmäßig viereckiges Bassin , geräumig genug, um 4 bis 500 Kauffahrteischiffe zu fassen. Er liegt mitten in der Stadt, was den bedeutenden Uebelstand erzeugt, daß die Luft in den benachbarten Gassen durch die ununterbrochenen übeln Ausdünstungen dieser großen stagnirenden Wassermasse nicht wenig verpestet wird. Ein schmaler, durch zwei starkbefestigte Forts vertheidigter Eingang setzt ihn mit der See in Verbindung, welche hier, soweit das Auge reicht, durch steile, nackte, vielfach zerklüftete Kalkfelsen umgürtet ist. Lange stand ich am sandigem Strande des Meeres unweit des nördlichen Hafenforts, wo sich der sehr niedrige Leuchtthurm befindet, und starrte hinaus auf die dunkelblaue, spiegelglatte, unermeßliche Fläche des Meeres, dessen krystallene Fluthen blos leise murmelnd am Strande emporrollten und wie in zärtlichem Liebesgeflüster mit der Erde zu kosen schienen. Da es im mittelländischem Meere keine Ebbe und Fluth giebt, so ist die Brandung selbst an den felsigsten Küsten , wenn die See nicht etwa durch Wind aufgeregt ist, sehr unbedeutend. Auf den breiten Quais rings um den Hafen gab es ein überaus buntes Gewühl von Matrosen aus aller Herren Ländern, denn es lagen wohl an 300 Schiffe im Hafen! Es ist für uns Landratten interessant, diese Musterkarte von Trachten und Physiognomiken zu erblicken und diese babylonische Sprachverwirrung zu hören!
Zum erstem Male umrauschten mich die sonoren Klänge der pvrenäischen Halbinsel und ich betrachtete mißtrauisch diese muskulösen bronzefarbenen Gestalten mit ihren dunkeln, dolchartig blitzenden Augen und schwarzem Haar, die rothwollene catalonische Sackmütze auf dem Kopfe und meist in blaue blusenartige Jacken von grobem Wollenzeug gekleidet, den Leib umwunden mit einer dicken rothwollenen Schärpe, aus welcher die breiten Klingen ihrer langen Messer hervorsahen. Von dem übrigem Seevolk abgesondert standen sie meist in lebhaftem Gespräche bei einander, mit stolzer Verachtung auf ihre französischen Kameraden herabblickend. Kaum vergeht ein Tag, wo es nicht einige derbe Püffe zwischen den Matrosen der verschiedenen Nationen gäbe, und ich selbst erinnere mich, eine lebhafte Prügelei aus dem Fenster meines Zimmers mit angesehen zu haben, wo spanische und italienische Seeleute handgemein geworden waren, und die zuletzt durch ein halb Dutzend wohlgenährter Englander, die sich berufen fühlten, eine friedliche Intervention zwischen den beiden im Kampf befindlichen Nationen zu machen, durch boxergerechte Faustschläge vom schwerstem Kaliber geschlichtet wurde. Ueberhaupt ging es etwas unruhig in Marseille zu. Von den Balconen vieler Häuser wehten noch dreifarbige Flaggen als Demonstrationen gegen die Legitimisten, welche kurz zuvor bedeutende Unruhen angezettelt hatten, und kaum verging ein Abend, ohne daß nicht Banden von jungen Leuten die Marseillaise singend durch die engen, von Menschen erfüllten Gassen gezogen waren, die allerdings bald und friedlich von den zahlreichen Patrouillen der Municipalgarde zerstreut wurden. Die legitimistischen Umtriebe brachten wenigstens einige Abwechselung in das Tagesgespräch der guten Marseilleser , das sich, wie man mir versichert hat, gewöhnlich blos in Handelsspeculationen und Stadtklatschereien ergehen soll. Die Damenwelt schwamm noch im Jubel über den Herzog von Aumale, der vor wenigen Tagen hier gewesen war und einen gewaltigen Eindruck auf die leicht erregbaren Herzen der feurigen Provençalinen gemacht zu haben schien. Endlich gaben die zu erwartenden Festlichkeiten der nahe bevorstehenden „fête du roi“ noch mancherlei Stoff zur Unterhaltung und so konnte es nicht fehlen, daß ich die Bewohner Marseilles liebenswürdiger gefunden habe als andere Reisende, welche wie auch die Mehrzahl der Franzosen den Marseilleser als einen groben, blos dem Materialismus ergebenen Menschen schildern. Freilich fehlt in Marseille, obwohl es eine der größten Städte und der erste Handelshafen von Frankreich ist, jene unendliche Verschiedenheit der Elemente, welche die Bevölkerung von Paris zusammensetzen und durch deren fortwährendes Zusammenleben jener ungezwungene, heitere, feine, halb gemütliche, halb frivole, vergeistigte Ton hervorgebracht wird, welcher das pariser Umgangsleben würzt und auf jeden Fremden einen höchst angenehmen und verführerischen Eindruck macht. Glücklicher Weise war ich aber damals noch nicht in Paris gewesen und vermißte daher weniger diese Verfeinerung der socialen Verhältnisse. Die Stadt von Marseille selbst bietet wenig mehr Sehenswürdigkeiten dar als schöne Promenaden, geschmackvolle Privatgebäude, elegante Cafes und Restaurants und luxuriöse Kaufhallen. Die Kirchen sind sämmtlich unbedeutend. Dagegen findet der Fremde in der Umgegend hinlängliche Zerstreuung auf einige Tage und allenfalls auch auf Wochen. Das Land ist, wie schon bemerkt, theilweis von steilen waldbedeckten Hügeln durchschnitten, die sich namentlich gen Osten in höhere Felsenberge zusammenthürmen, durch welche die Straße nach Toulon in mächtigen Felsengallerieen hindurchgebrochen ist, die den Namen der französischen Thermopylen führen. Ich bedauere aufrichtig, diese romantische Stelle nicht gesehen zu haben, was freilich einen Ausflug nach Toulon nöthig gemacht haben würde. Eine Menge Landhäuser, von Parkanlagen, Oliven-, Mandel-, Feigen- und Nußbaumplantagen umringt, liegen überall zerstreut in den kleinen Schluchten zwischen den waldigen Hügeln, und auch das mehr ebene Land in den nächsten Umgebungen der Stadt zeichnet sich durch seine reiche Bebauung aus. Aber bereits hier sieht man keine Wiesen mehr und ist der Frühling vorüber, so mag dieses jetzt im üppigstem Grün prangende Land bald recht dürr und braun da liegen, denn der Boden ist außer ordentlich steril. Obwohl Marseille noch südlicher liegt als Florenz, so erinnere ich mich doch nicht, hier bereits Orangenbäume im Großem cultivirt gesehen zu haben; immer waren sie an geschützten Stellen gepflanzt und von unbedeutender Größe, wie auch die Oelbäume, um derentwillen die Provence so berühmt ist, ein sehr verkrüppeltes Ansehen haben und bei Weitem nicht jene Größe und Ueppigkeit erreichen wie in Spanien und Italien. Kurz, man befindet sich in Marseille zwar im Vorhofe der Gärten der Hesperiden, aber bei Weitem noch nicht in ihrem Innerm.
Was die Bewohner der Provence betrifft, so tragen ihre markirten Gesichter allerdings einen entschieden südlichen Charakter und namentlich sind mir in Avignon bei den Frauen häufig vollkommen griechische Profile von schönstem Ebenmaß aufgefallen, wie ich später auch in der Grafschaft Rousillon, namentlich um Perpignan zu beobachten Gelegenheit hatte. Wer sich eine Totalübersicht über Marseille verschaffen will und Gefallen an dem Anblicke des Meeres findet, der versäume ja nicht, zu dem Castell von Notre Dame de la Garde emporzuklimmen , welches auf einer steilen kahlen Felsenhöhe am südlichem Rande der Stadt erbaut ist. Innerhalb seiner Mauern, von deren Zinnen stolz die dreifarbige Flagge herabweht, befindet sich außer dem Telegraphen und Signalhause eine kleine Kirche, in welcher das wunderthätige Madonnenbild von Notre Dame de la Garde, das bei den Seeleuten in großer Verehrung steht, indem diese Dame gerade für die Unfälle zur See sehr gut und heilsam sein soll, aufbewahrt wird. Alle Wände im Innerm der Kapelle sind von schlechten Bildern bedeckt, welche meist Scenen aus dem Seeleben darstellen, wo sich diese Madonna hülfreich erwiesen hat. Diese Bilder sind mehrentheils die Früchte von Gelübden, welche die Betroffenen zur Zeit der Gefahr dieser Mutter Gottes gethan haben. Mehr als dieser Firlefanz ergriff mich die unendlich reizende Aussicht. Man übersieht den ganzen weiten Golf von Marseille bis an das Rhonedelta und außerdem gen Süden und Osten eine ungeheure Strecke Meeres bis an die schroffen Felsenklippen des Cap Rosette. Etwa eine halbe Stunde vom Eingange des Hafens entfernt liegen mehrere kahle Felseninseln, auf deren einer das alte Chateau d’If, auf einer andern die Quarantäne steht, wo eine Menge von Fahrzeugen vor Anker lagen. Ich bedauerte herzlich die Unglücklichen, welche verurtheilt sind, sich vier Wochen lang auf diesem dürrem Felsen im Angesicht von Marseille langweilen zu müssen. Es muß höchst amüsant sein. Schön ist der Anblick der hügligen zu Füßen ruhenden Stadt und der malerischen Umgegend, über deren waldige Hügel man bei ganz hellem Wetter die Umrisse der Seealpen dämmern sehen mag.
aus Moritz Willkomm: Zwei Jahre in Spanien und Portugal, 1847
Moritz Willkomm fuhr mit dem Schiff von Marseille nach Barcelona. Das geht heute nicht mehr. Darum folgen wir jetzt nicht seiner Route nach Marseille, sondern biegen von Avignon nach Südwesten ab. Ich hoffe, ihn in Barcelona wieder zu treffen;-).
Der Weg führt zurück über die Pont Edouard Daladier nach Villeneuve-les-Avignon und folgt meist der Rhone. Aramon ist ein ruhiges Städtchen mit einer freundlichen Atmosphäre, wir verpflegen uns aus der Bäckerei und picknicken beim Brunnen. Nun führt der Weg weg von der Rhone, bis wir in Beaucaire wieder ans Wasser kommen. Beaucaire war bis 1848 der grösste Handelsplatz im Süden Europas. Es verfügt heute über einen Yachthafen. Wir irren etwas in den Gassen umher auf der Suche nach einem Supermarkt.
Nun geht es weg von der Rhone und schnurgerade entlang dem Canal du Rhône à Sète. Wir kommen an einem riesigen Zementwerk (Heidelberg Materials) vorbei, welches auch irgendwie wie eine mittelalterliche Burg aussieht. Am Wegrand wuchert die Schilfpflanze Arundo Donax, das Rohr, aus welchem die Blätter und Rohre der Holzblasinstrumente hergestellt werden.
Bald erreichen wir Saint Gilles und das Hotel Heraclée.
Wir spazieren durch das schöne Dorf, hinauf zur Kirche und auf den daneben stehenden Turm. Dann suchen wir eine Pizzeria, die wir auf Google gesehen haben. Die ist aber noch nicht geöffnet. So landen wir im Delikatessenladen Bibine et Ripaille, wo uns der Besitzer zwei gemischte Teller zubereitet. Es hat Bruschetti drauf, Tapenade, heissen Camambert mit Honig, Sardinen und gefüllte Peperoni. Wir schlendern dem Kanal entlang. Viele Hausboote lagern da, die kann man mieten. Es hat auch Touristen, die in Saint Gilles ankern. Dann hat es einige ziemlich rustikale Schiffe, die offenbar als Wohnsitz dienen, und die etwas verlottert wirken. Teure, ozeantaugliche Yachten findet man auch.