Da mir Granada in beiden Jahren meines Aufenthalts auf der Halbinsel lange Zeit als Centralpunct für meine Operationen in Hoch-Andalusien gedient hat und ich deshalb in keiner Stadt Spaniens ſo einheimisch geworden bin wie in dieser; so kann ich es mir nicht versagen, einige Details über meine Lebensweise und meine häusliche Einrichtung an diesem poetischen Orte zu geben. Ich hätte schwerlich eine angenehmere und für meine Zwecke passendere Wohnung finden können, als die war, welche ich auf Mateos Rath in der Alhambra bezogen hatte. Abgesehen von dem Zauber, den der Gedanke auf mich ausübte, innerhalb der alten Zwingburg der Könige von Granada zu leben, welche ein verwirklichtes Mährchen aus Tausend und Eine Nacht zu sein scheint, wo es keinen Thurm, keinen Söller, kein Fenster giebt, an das sich nicht historische Erinnerungen oder Sagen von wunderbaren Begebenheiten knüpften; abgesehen von der beschaulichen Stille, die meine versteckte Wohnung zu Studien aller Art geeignet machte, mußte es für mich als Botaniker von ganz besonderem Werth sein, nicht innerhalb der weitläufigen Stadt, sondern an einem Ort zu wohnen, wo wenige Schritte genügten, mich in freiem Felde, ja an der Schwelle der Sierra Nevada zu befinden. Denn die Alhambra liegt auf dem letztem Vorsprunge des Joches, welches die Thäler des Jenil und Darro trennt und das von Stunde zu Stunde immer höher anschwellend zuletzt Berge von 5–6000 Fuß bildet, die unmerklich in den Hauptwall der Sierra Nevada übergehen.
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Nach einem zwölftägigem Aufenthalt in Granada begab ich mich am 23. Juli auf längere Zeit in die Sierra Nevada. Während meines langen Aufenthaltes daselbst und in den jenseits der Sierra gelegenen Alpujarras, der ſsch, kurze Unterbrechungen abgerechnet, wo die Versendung der gemachten Sammlungen meine Anwesenheit in Granada erheischte, bis Ende des Septembers verzögerte, habe ich den Haupttheil dieſss Gebirgs in allen Richtungen durchkreuzt, neun seiner bedeutendsten Gipfel bestiegen, manche Nacht unter den leichten Zelten und ärmlichen Hütten seiner Hirten zugebracht und mir auf diese Weise eine ziemlich genaue Kenntniß sowohl von dem Gebirge selbst als von seinen Bewohnern erworben. Ich glaube deshalb, daß die folgenden Mittheilungen nicht ganz werthlos ſein dürften, je weniger bekannt die Sierra Nevada ist; – denn die Touristen hüten sich sehr wohl vor spaniſchen Gebirgen!
Die beiden Hauptgipfel der Sierra Nevada sind der Cerro Mulahacén, dessen Namen an den maurischen König Muley Hassan erinnert, und der Picacho de Veleta. Letzterer, blos viertehalb Hundert Fuß niedriger als der Mulahacen, liegt Granada am nächsten und läßt sich von dort aus am leichtesten besteigen, weshalb er dann und wann von neugierigen Reisenden besucht zu werden pflegt. Eine solche Gelegenheit benutzte ich, um mir einen vorläufigen Ueberblick über das Gebirge zu verschaffen, bevor ich auf längere Zeit meinen Aufenthalt da selbſt nähme. Es wollten nämlich zwei Franzosen und ein Nordamericaner den Picacho sehen und so beschloß ich, mich ihnen anzuschließen, und unternahm am 18. Juli, geführt von Mateo und Vicente, die Besteigung dieses Bergriesen. Da meinen Gefährten davor graute, eine Nacht in der Sierra zuzubringen, so brachen wir sehr zeitig auf, um noch denselben Tag nach Granada zurückkehren zu können. Ich kann keinem Reisenden, der den Picacho zu besuchen gedenkt, rathen, dies nachzuahmen, da es für einen Tag eine im höchstem Grade angreifende Partie ist, indem man sich kaum eine Viertelstunde Zeit zum Ausruhen gönnen darf, um nicht von der Nacht in der Sierra überrascht zu werden.
Noch lag das ganze Land im Schatten der Dämmerung begraben, als wir um drei Uhr Morgens aus Granada fortritten. Ein leidlicher Saumpfad, der bei uns freilich für einen sehr schlechten und für Pferde gänzlich ungangbaren Weg gelten würde, führt von Granada bis an den eigentlichen Kegel des Picacho de Veleta, weshalb man diesen Ausflug sehr gut zu Pferd oder Maulthier machen kann. Dieser Weg, welcher Camino de la Nieve (der Schneeweg) heißt von den „Neveros,“ einer besondern Classe von Arrieros, die das Privilegium genießen, die zahlreichen Conditoreien Granadas mit Schnee zur Fabrication des Eises zu versorgen, läuft fortwährend auf dem breitem Kamme hin, der die Thäler des Jenil und Monachil scheidet, wo er sich bald an tiefen Abgründen hinwindet, bald über felsige Lehnen, natürlichen Treppen vergleichbar, emporklettert, bald im losem Schiefergerölle der Schneeregion streckenweis verschwindet. Er bietet ununterbrochen die großartisſten Gebirgsansichten und die lieblichsten Blicke auf das im Rücken liegende Land dar, hat aber das Unangenehme, daß man auf demselben bis auf zwei spärlich fließende Quellen kein Wasser antrifft.
Wir waren schon hoch in den Vorbergen der Kalkalpen, die uns die Ansicht der Hauptkette entzogen, als die Sonne die Thürme der Alhambra zu vergolden anfing und bald die reizendsten Schlaglichter über die lieblichen Fluren der Vega und in die wild zerrissenen, von brausenden Bächen durchströmten Gründe der Sierra warf. Ueberrascht von der weiten, in allen Farbentinten eines südlichen Morgens prangenden Aussicht, die im Norden bereits von den rosig beleuchteten Felsgebirgen von Jaen begränzt wurde, hielten wir unsere Pferde einen Augenblick an und ließen uns von dem wohlunterrichtetem Mateo die interessantesten Puncte der Gegend nennen.
„Die merkwürdigste Stelle, Caballeros,“ – hob Mateo an, zu mir und dem Americaner gewendet, denn die beiden Franzosen verstanden so viel wie gar kein Spanisch und ergingen sich in kläglichen Raisonnements über die Schlechtigkeit des Weges – „ist die, an welcher Sie sich selbst befinden. An diesem Abhange, wo jetzt blos Disteln und Dornen gedeihen, stand ehedem ein reiches Gehöft inmitten eines großen Castanienhains und dieſe Quelle, die jetzt kaum Wasser genug besitzt, um die Zungen unserer Pferde zu befeuchten, war damals ein Brunnen, reich an krystallenem Wasser. Da verliebte sich ein junger Morisco, der Enkel eines alten Goldschmieds, der in jenem Häuschen am Rande des Jenilthales wohnte, das jetzt eben von der Morgensonne beleuchtet wird und noch heute den Namen el Cortijo del Platero führt, in die schöne Tochter des Besitzers vom Castanienhofe, eines Spaniers von unvermischtem Blut wie ich! Dieser, ein geschworener Feind der Moriscos, gab den Burschen bei der Inquisition als heimlichen Ketzer an. Der Maure wußte jedoch aus dem Kerker zu entkommen und ging zu den Rebellen in die Alpujarras. Wüthend, seine Rache vereitelt zu sehen, lockte der Herr des Castanienhofes den alten Großvater des jungen Burschen in sein Haus unter dem Vorwand, mit ihm wegen der Verheirathung seiner Tochter mit dem Morisco zu unterhandeln, und ermordete ihn mit eigener Hand neben dem Brunnen. Seine Tochter, die mittlerweile schwanger geworden war, wollte diese Unthat verhindern. Doch der rohe Vater versetzte ihr einen Stoß, daß das arme Kind kopfüber in den Brunnen stürzte und ertrank. Da erzitterte die Erde, die Felsen wankten, der Boden spaltete sich und das Gehöft versank mit dem wortbrüchigem Verbrecher in den glühenden Schlund. Dies geschah, meine Herren, im Jahre des Heils 1569. Seit jener Zeit will hier kein Saamenkorn mehr sproſſen, denn der Fluch des alten Mauren haftet an dem Boden. Des Nachts aber vernehmen die Neveros oft ein klägliches Wimmern in dieser Gegend, was man der ruhelos umherirrenden Seele des fluchbeladenen Mörders zuschreibt; und häufig soll bei Mondschein eine weiße Gestalt am Rande der Quelle sitzen, die man für den Schatten des schuldlos gemordeten Mädchens hält. Die Quelle aber führt seitdem den Namen der Castanienquelle (Fuente de Castanos.)“
Eine Stunde später gelangten wir auf die Hochebene von Puche, die zum Theil mit Getreidefeldern bedeckt ist. Hier überraschte uns nicht wenig die Aussicht auf die majestätische Hauptkette der Sierra, deren gewaltige Schneefelder, zwischen den nackten schwarzen Schieferfelsen zerstreut, blendend hell im Scheine der Sonne leuchteten. Zu unserer Rechten eröffnete sich das tiefe Thal des Monachil, umringt von einem Kranz grotesk gestalteter Felsberge. Gerade vor uns erhob sich die steile Felskuppe des Dornajo, der die rechte Wand des Thales bildet: ihm gegenüber starrten die phantastisch zerklüfteten Marmorfelsen des Cerro Tesoro und rechts davon in größerer Nähe lag die von zackigen Kalkklippen eingeengte Schlucht des Barranco de la Fabrica, dessen Hintergrund die nackte, ungeheuer steile Felspyramide des majestätischen Cerro Trevenque bildet. Zu unseren Füßen, in einer Seitenschlucht des Monachilthales, ruhte der Cortijo la Mimbre im Schooße einer üppigen Vegetation, die auch die Thäler des Jenil und Monachil erfüllt. Sonst ist die Sierra Nevada auch in ihren untern Partieen fast ganz kahl. Nur kurze Zeit war uns der Genuß dieser großartigen Gebirgslandschaft vergönnt, denn bald wandte sich der Schneeweg nach dem Abhang des Jenilthales zu, so daß uns der Dornajo zur Rechten blieb. Am Fuße dieses Kalkgipfels sprudelt eine helle Quelle, das letzte Wasser, welches man beim Aufstieg zum Picacho findet. Oberhalb des Dornajo hört die Vegetation mehr und mehr auf und beschränkt sich bald auf die dichten Rasen niedriger Alpenkräuter, die von fern nicht bemerkbar zwischen dem grauem Schiefergerölle zerstreut ſsnd. Links erheben sich die gewaltigen Schieferfelsen des Penon de San Francisco und verhindern die Aussicht in das walderfüllte Jenilthal, während sich zur Rechten die dunkle Schlucht des Monachilthales von Neuem zeigt, dessen entgegengesetzte Wand ein hoher schneebedeckter Kamm bildet, welcher das Thal des Monachil von dem des Dilar scheidet. Sein von zahllosen Gründen durchfurchter, von saftigen Alpenwiesen und theilweis von dichtem Gebüsch bekleideter Abhang trägt den Namen der Dehesa de San Geronimo, weil er zu dem gleichnamigem Cortijo gehört, einem nahe am Monachil am südlichem Fuße des Dornajo gelegenem Gehöft, wo ich drei Wochen gewohnt habe.
Um 10 Uhr erreichten wir die Eſtancia de los Neveros, einen Platz, der in einer Schlucht zwischen den ersten Schneefeldern liegt und von den Neveros häufig zum Bivouac benutzt wird. Hier hört der Schneeweg auf; doch kann man noch eine Stunde durch das Gerölle des sanft ansteigenden Fußes des Picacho bis zu dessen eigentlichem Kegel empor reiten, bis auf dessen Spitze noch zwei Stunden erforderlich sind. Obgleich die Estancia de los Neveros in einer Höhe von 8200 Fuß liegt, brannte die Sonne doch so heiß, daß wir gern den Schatten eines Felsen suchten, wo Vicente auf einer Manta die Victualien auskramte, die in den Tragkörben seines Maulthiers enthalten waren. Trotz der Sonnenhitze besaßen die benachbarten ,“Ventisquieros“ (so nennt man die zerstreuten Schneefelder) noch eine staunenerregende Dicke, obwohl sie blos von dem vergangenem Winter herrührten, denn sogenannten ewigen Schnee giebt es in der Sierra Nevada fast nirgends. Die kleinen Pfützen, die sich an den Rändern dieser Schneefelder gesammelt hatten, waren das einzige Trinkwasser, was wir bei unserm frugalem Frühstück benutzen konnten und welches wegen seiner Kälte den Durst blos vermehrt.
Nachdem wir noch eine halbe Stunde aufwärts geritten waren, ließen wir unsere Pferde unter Vicentes Obhut zurück und erklommen zu Fuß, geführt von Mateo, den Kegel des Picacho, dessen höchste Felskuppe wir Punct 12 Uhr erreichten. Die Besteigung des Picacho de Veleta ist mit keiner Gefahr verbunden, jedoch etwas beschwerlich.
aus Moritz Willkomm: Zwei Jahre in Spanien und Portugal, 1847, Band II.
In der Sierra Nevada sind Barbara und ich vor Jahren viel gewandert, und den Veleta haben wir mehrmals bestiegen. Aber mit dem Fahrrad war ich noch nie oben, und da eine Strasse bis zum Gipfel führt und ich ja mein Velo dabei habe, möchte ich das versuchen.
Auf Quaeldich (https://www.quaeldich.de/paesse/pico-del-veleta/)
steht: Der Pico del Veleta ist der höchste mit dem Rennrad anfahrbare Punkt Europas. Auch die Anstiegslänge und Höhenmeterdifferenzen ab Granada sind mit 48 km und 2788 Höhenmetern monumental, wenn auch letzterer knapp nicht Europarekord. Die durchschnittliche Steigung liegt hingegen bei überschaubaren 5,1 Prozent ab Granada, 6,5 Prozent ab dem eigentlichen Anstiegsbeginn.
Das will ich mir nicht entgehen lassen, und so breche ich um 7.30 auf. Ich folge dem Genil und dann der Strasse, welche mit Sierra Nevada angeschrieben ist. Schon zeigt sich in weiter Ferne der Veleta. Ob ich es bis dorthin schaffe? Die Strasse führt in stetiger Steigung hinan und ist gut fahrbar. Gegenüber Güejar Sierra öffnet sich der Blick auf das Dorf und den Stausee. Mehrere Rennradfahrer und einige E-Biker überholen mich.
Nach vier Stunden bin ich oberhalb des Skiresorts Pradollana, dann kommt ein Parkplatz mit mehreren Hütten, wo es zu Essen und zu Trinken gibt. .Ich bin froh, hier meine Wasservorräte auffüllen zu können. Ab jetzt ist die Strasse für Touristenautos gesperrt. In vielen Windungen geht es aufwärts. Man sieht sehr schön den Veleta und links davon Alcazaba und Mulhacen. Der Blick nach rechts ins Tal hinunter zeigt den Trevenque.
Ich komme gut mit der Steilheit der Strasse zurecht und kann alles im Sitzen fahren. Nur wird der Strassenzustand immer schlechter, und bei den allzu gerölligen Stellen steige ich ab und schiebe. Auf dieser Höhe fehlt mir die Luft, um durch Schotterfelder zu pedalen.
Auf den letzten 100 m vor dem Gipfel ist die Strasse nicht mehr erkennbar, also stelle ich meine Velo ab und gehe zu Fuss zum Gipfel, wo ich kurz vor 14 Uhr ankomme. Die Aussicht ist wieder phänomenal und der Blick hinunter in den Corral de Veleta atemberaubend. Dort haben Barbara und ich vor Jahren Spuren des Veleta-Gletschers gesucht.
Nach einer guten Rast gehe ich zurück zu meinem Rad und beginne die Abfahrt. Auch die Schotterstellen sind fahrbar, aber ich muss mich schon konzentrieren. Das ständige Bremsen und Balancieren ermüdet.
Darum mache ich beim erwähnten Parkplatz Pause und esse einen Hamburger. Jetzt ist die Strasse in gutem Zustande und ich komme schnell vorwärts. Ich nehme eine andere Schlaufe als beim Aufstieg, die mündet dann wieder in die gleiche Strasse.
Unten im Tale mache ich eine Fehlüberlegung und nehme die falsche Abzweigung, die zwar auch mit Granada angeschrieben ist, aber direkt auf die Autobahn führt. Da es keine Alternativen gibt, fahre ich ein Stück zurück und finde eine Brücke über den Genil. Jetzt habe ich dafür einen schattigen Radweg entdeckt, welcher mich bis nach Granada hinein bringt.
Das war streng, aber ich habe es geschafft. 103 km, 2700 Hm