Die Nacht verhinderte mich, die Schönheiten des Thales des Rio de Jaen, in welchem die neugebaute Straße nach Granada emporführt, zu genießen, und die Morgendämmerung des 11. Juli zeigte mir bereits die zackigen kieferbewaldeten Kuppen der Sierra de Arenas, eines Zweiges der Gebirge von Jaen, die von dem Rio de Campillo, einem Zuflusse des Rio de Jaen, durchbrochen wird. Eine halbe Legua vor dem Flecken al Campillo de Arenas rücken die Felsen beider Thalwände so nahe aneinander, daß sie nur eine schmale Schlucht für den Fluß übrig lassen. Hier führt ein im J. 1840 erbauter kurzer Tunnel durch die vorspringende Felsenwand des linken Ufers, welcher den Namen Puerta de Arenas führt. Von dem genanntem Dorfe aus, in dessen reinlicher Posada ich zum erstem Male den aromatischen gelbrothen Wein der Küsten von Granada zu trinken bekam, welcher die unangenehme Eigenschaft hat, daß er einen lästig juckenden Ausschlag auf den Händen und Armen hervorruft, bevor man sich an ihn gewöhnt hat, windet sich die Straße in unaufhörlichen Windungen durch die dürren, aber malerischen Kalkberge hindurch, die das Flußgebiet des obern Guadalquivir von dem Becken des Jenil scheiden. Je kahler die felsigen Kuppen sind, von desto üppigerm Grün sind die tiefen Thäler erfüllt, zwischen deren Olivenplantagen hier und da die weißen Mauern einsamer Cortijos hindurchschimmern. Hitze und Staub waren so unerträglich geworden, daß wir eine Stunde hinter dem Flecken Campotejar, wo man die Gränze des Königreichs von Granada überschreitet, den Mayoral nöthigten, zu halten, um uns am Rande eines klaren Baches im Schatten einiger verwilderter weinumsponnener Feigenbäume einigermaßen zu erfrischen. Schon leuchteten zu unserer Linken die seltsam zerklüfteten Felsenkuppen der hohen Sierra de Jarana im duftigstem, glühendstem Violett und bald verkündete die Schneepyramide des Picacho de Veleta die Nähe von Granada. Einige Momente später entrollte sich die ganze majestätische Kette der Sierra Nevada, die mit ihren hoch gen Himmel ragenden Eiszinnen den ganzen südlichen Horizont wie ein ungeheurer Wall begrenzte; allein vergeblich suchten meine Augen die reizende Vega und die Thürme von Granada, welche noch von den braunen Kegeln der dürren Sierra de Elvira verdeckt wurden. Rasch flog unser Wagen die vielfach gewundene Straße in das Thal des Rio Cubillas hinab, und kaum hatten wir die Höhe des waldigen Kammes erreicht, der die Sierra de Elvira mit den Montes de Granada verbindet, als plötzlich die paradiesische Vega mit ihren zahllosen Ortschaften und Landhäusern vor mir ausgebreitet lag und an ihrem südlichem Ende dicht am Fuße des gewaltigen Schneegebirges die weißen Häuserreihen der alten maurischen Königsstadt, überragt von den braunrothen Thürmen der Alhambra!
Ich halte es für unmöglich, eine Schilderung von der Pracht dieser Landschaft zu entwerfen. Granada ist eine jener bevorzugten Stätten der Erde, die nur einmal vorhanden sind, die sich mit nichts vergleichen lassen und sich mit Flammenzügen in den Geist eines Jeden einprägen, der sie nur einmal gesehen hat! Welcher Mensch, der ein gefühlvolles Herz im Busen trägt, möchte beim Anblicke dieses Paradieses nicht in Entzückung gerathen, dieser Gefilde, an welche die Natur alle Reize des Südens und des Nordens verschwenderisch ausgetheilt hat, abgesehen von dem unendlichem Zauber, den Poesie und Geschichte über Granada ausgehaucht haben.
Mir wenigstens war dieser Augenblick, wo ich die phantastischsten Träume meiner Kindheit verwirklicht sah, ebenso heilig wie dem gläubigem Moslem der Anblick von Mecca!
Je mehr man sich Granada nähert, desto zahlreicher werden die Landhäuser, Gärten und Fruchtbaumplantagen aller Art, welche die Stadt wie Valencia in üppigster Fülle umschließen. In eine Wolke von Staub eingehüllt fuhren wir endlich in die Vorstadt von Elvira hinein und gelangten bald darauf auf die große Plaza del Triumfo, denselben Platz, wo die Königin Jsabella am 6. Januar 1492 Musterung über ihr siegreiches Heer hielt, bevor sie ihren triumphirenden Einzug in die eroberte Stadt antrat. Ich war herzlich froh, als unser Reisewagen vor der Fonda de Minerva hielt; da ich jedoch in der Nahe der Alhambra wohnen wollte und man mir gesagt hatte, die Fonda del Comercio läge nahe dabei, so brach ich, sobald die Douane beseitigt war, auf, um meine Wohnung aufzusuchen. Ein dienstfertiger Gallego , der sich mit meinen sämmtlichen Effecten belud, führte mich beinahe anderthalb Viertelstunden weit durch das engverschlungene Gassenlabyrinth der Stadt, und als wir endlich in der Fonda ankamen, die nichts weniger als in der Nähe der Alhambra liegt, war kein Unterkommen mehr zu finden. Verdrießlich begab ich mich in eine gegenüber liegende Casa de Pupilos (so nennt man in Spanien eine Art von Hôtels garnis oder Häuser, deren Besitzer Fremde, die sich längere Zeit an einem Orte aufhalten wollen, nach getroffenem Uebereinkommen in Quartier und Kost nehmen), wo ich ein Zimmer auf unbestimmteZeit miethete, obwohl mir die Wirthsleute nicht im Mindestem gefielen.
aus Moritz Willkomm: Zwei Jahre in Spanien und Portugal, 1847
Ich bin schon etwas aufgeregt. Dies ist meine letzte Etappe, heute will ich nach Granada kommen, dem Ziel meiner ganzen Reise. Und auch von Willkomm, mindestens fürs Erste, blieb er doch einige Zeit in dieser Stadt.
Schaff ich es? Gibt es kurz vor Schluss noch eine Panne? Habe ich eine fahrbare Strecke ausgedacht, oder werde ich mein Rad wieder durch Geröll schieben? Das sind so Gedanken, die mir am Morgen durch den Kopf gehen.
Ich fahre auf der Autostrasse von Jaén weg. Es geht konstant bergauf, am Anfang fahre ich auch direkt in die aufgehende Sonne, was mich oft blendet. Bald schon komme ich auf eine ruhigere Strasse, die N-323. Das ist die alte Strasse, die von Bailén nach Motril führte. Und wenn auch auf den Wegweisern grosszügig Jaén und Granada angegeben sind, täuscht man sich, wenn man hofft , diese Strasse führe dorthin. Sie ist nämlich nur in Bruchstücken erhalten, weil sie vollständig durch die Sierra Nevada Autobahn ersetzt wurde. Es kann also passieren, dass ein Teilstück im Nichts endet, oder auf die Autobahn führt.
Mein Weg führt teilweise auf dieser Strasse, teilweise auf Servicestrassen und anderen Wegen. Bald schon komme ich zur Puerta de Arenas, der von Willkomm erwähnte Tunnel ist immer noch da und auch ich folge dem Weg nach Campillo de Arenas, allerdings ohne den erwähnten Wein zu degustieren.
In Campotéjar will ich eigentlich etwas essen gehen, aber die einzige offene Bar ist so von trinkenden Männern belagert, dass ich es vorziehe, weiterzufahren. Jetzt zeigt sich am Horizont erstmals die Sierra Nevada mit Mulhacen und Alcazaba, die sind aber noch weit weg. Ich finde einen Sitzplatz und picknicke. Ich überquere den Rio Cubillas und fahre zum Dorf Iznalloz hoch. Das wirkt wie aus einer anderen Zeit. Bei Deifontes komme ich zum zweiten Male an den erwähnten Fluss, welcher auch nur ein Rinnsal ist.
In einem Wäldchen mache ich nochmals Rast, bevor ich den letzten Abschnitt nach Granada in Angriff nehme. Ich komme zum Embalse de Cubillos. Jetzt sieht man die ganze Sierra Nevada mit Alcazaba, Mulhavcen, Veleta und Caballo. Schon zeigt sich Granada, ich fahre durch die Vororte Albolote und Maracena und bin schon bald in der Stadt Granada. Um 16 Uhr erreiche ich die Plaza Nueva, wo sich meine Wohnung befindet. Ich habe viel Platz, und in nächster Umgebung hat es Bäckereien, Restaurants, Eisdielen, alles was man wünscht, und die Leute sind sogar um 17 Uhr am Essen. Das ist sonst immer ein Problem in Spanien. Ich besuche den Kebab um die Ecke und den Glacéladen daneben. Dann spaziere ich der Strasse entlang, um einen Blick auf die Alhambra zu erhaschen.
Ich bin angekommen. Am 3. Juli in Leipzig losgefahren, am 1. September in Granada angekommen, 3521 km.